Montag, 10. Mai 2021

Die Film Reuve - Teil 1

Die Filmzeitschrift "FILM REVUE" war bis Anfang der 1960er das wohl einflussreichste Filmmagazin Deutschlands. 1962 verkaufte der Karlsruher Verleger Karl Fritz jedoch die Filmzeitschrift an Franz Burda. 

Diese Übernahme überlebte die "FILM REVUE" als eigenständige Zeitschrift jedoch nicht sehr lange. Denn 1963 wurde sie eingestellt und mit dem  Modemagazin "FREUNDIN"“ unter dem Titel „"FREUNDIN - FILM REVUE"“ zusammengelegt. Im weiteren Verlauf der 1960er verschwand die "FILM REVUE" dann endgültig vom Markt.

Vermutlich steckte hinter Burdas Entscheidung, dem Karlsruher Verleger Karl Fritz 1962 seine Zeitschrift „Film-Revue“ abzukaufen nicht nur der Wunsch nach Expansion, sondern auch die Aussicht auf dem Parkett der internationaler High Society zu glänzen, denn die Übernahme der "FILM REVUE" bedeutete gleichzeitig auch Deutschlands wohl glamouröseste und bekannteste Film-Gala, die Bambi-Verleihung, auszurichten.

DOCH WIE FING ALLES AN?

Wie wurde die "FILM REVUE" gegründet und mit welchen Anfangsschwierigkeiten hatten die Gründer der Filmzeitschrift damals zu kämpfen?

MAN SCHREIBT DAS JAHR 1947.

Die meisten sehen aus wie Gert Fröbe als Otto Normalverbraucher in dem Film "BERLINER BALLADE" (Kinostart: 31.12.1948). Ein Gesicht wie ein Leichenschauhaus, gelblich-bleich, hohlwangig, mit großen, hungrigen Augen, die tief in den Höhlen liegen. Der letzte Anzug von der Stange schlottert um den mageren Körper wie ein ausgedienter Frack um eine Vogelscheuche.

So kamen die Frühheimkehrer aus der Kriegsgefangenschaft nach Hause. Unter ihnen war auch ein deutscher Hauptmann der Reserve, der einen alten Kameraden in Baden-Baden mit Beziehungen zum damaligen französischen Filmoffizier (der gelangweilt im beschlagnahmten Hotel "Stefanie" residierte) hatte.

Baden-Baden war zu dieser Zeit Sitz der französischen Besatzungsbehörde.

Nun hegte dieser Hauptmann der Reserve eine große Liebe zum Film, und er besaß auch ein erstaunliches Organisationstalent.  Er sagte zu seinem alten Kameraden: Wie wäre es, Herr Oberstleutnant, wenn wir eine Filmzeitschrift aufmachen wurden? Sie kennen doch den Monsieur Film vom Stefanie?" Der Oberstleutnant war von dieser Idee begeistert.

Der französische Filmoffizier gab seine Genehmigung und war sehr froh darüber, dass er in seinem Ressort endlich etwas zu tun bekam.

Sowohl die Franzosen als auch die Amerikaner, Engländer und Russen hatten in der damaligen Vierzoneneinteilung ihre eigenen Filmoffiziere, ohne das weder produziert noch über Filme geschrieben werden durfte.

Und da sowohl der Hauptmann der Reserve als auch der Oberstleutnant den Ehrgeiz hatten, die erste deutsche Filmzeitschrift der Nachkriegszeit in der französischen Besatzungszone aus der Taufe zu heben, mussten sie so lange im Stefanie-Vorzimmer sitzen, bis endlich der zuständige Hohe Kommissar, der gaullistische General König, unter der Ziffer

 46/DGAA/Inf./Pr. vom 9. 6. 1947

den Entwurf der ersten Ausgabe der "FILM-REVUE" genehmigen ließ.

In einem ehemaligen Ladengeschäft in der Langestraße Baden-Badens etablierte sich im Juli 1947 der neue „Verlag" mit ein paar wackligen Tischen und ausgedienten Schreibmaschinen, während die „Redaktion sich in der Privatwohnung des früheren Hauptmanns in Karlsruhe niederließ.

Das Wohnzimmer des Mitbegründers der FILM-REVUE war tagsüber Redaktion und abends „gute Stube. Auf den gutbürgerlichen Möbeln lagen Häkeldeckchen und auf den Häkeldeckchen Schonerdeckchen. Man musste zudem aufpassen, dass man mit seinen Militärschnürschuhen nicht das Parkett zerkratzte.

Eine Schachtel Ami-Zigaretten kostete 90 Reichsmark. Der Erwerb eines Bleistiftes war zu jener Zeit Verhandlungsgegenstand von Redaktionskonferenzen. Für fünf Briefumschläge musste man ein Kilo alter Manuskripte ins Papiergeschäft tragen. Der Kampf ums Papier, um ein Farbband erzeugte täglich neue Spannungsmomente.  Und jeder neue Tag brachte neue Überraschungen und neue Schwierigkeiten.

DER WINTER 1947/48 WAR SEHR KALT.

Das Brennmaterial war knapp und in Deutschland gab es noch keine Regierung, sondern nur die vier Militärverwaltungszonen.

Der erste Augabe "FILM-REVUE" war erschienen. Sie bestand aus 12 Seiten. Vom holzigen, groben Papier blickte im blassen Offsetdruck das melancholische Gesicht der Marlene Dietrich.

Die 50.000 Exemplare, Preis 1 R-Mark, waren im Nu ausverkauft. Kein Wunder, denn die Leute hatten Papiergeld genug, aber die Zeitschriften waren knapp.

Der  Verlag und die Redaktion der "FILM-REVUE" waren durch die Zonengrenze voneinander getrennt. Die Stadt Baden-Baden gehörte zur französischen und die Stadt Karlsruhe zur amerikanischen Besatzungszone.

Für die Reisen von einer Stadt zur anderen, ganze 36 Kilometer, brauchte man ein sogenanntes „"Laisser-passer", einen Passierschein, wobei es nicht selten vorkam, das schlecht gelaunte Militärpolizisten unterwegs manchen aus dem Zug holten, der sein Papier vergessen‘hatte.

Die zweite Ausgabe der "FILM REVUE" war von den Franzosen zuerst lizenziert, dann aber verboten worden, denn der zweiseitige Artikel "Abschied von guten Bekannten",  eine Doppelseite im Innern der Zeitschrift,  hatte nachträglich das Missfallen der Franzosen erregt und musste eingestampft werden, obwohl der Artikel ein absolut unpolitischer Nachruf auf verstorbene deutsche Filmschauspieler, darunter Heinrich George, der im russischen KZ elend umgekommen, und Hannes Stelzer, der den Fliegertod gestorben war, gewesen war. 

So musste die Doppelseite ausgewechselt und durch den Bericht  "Esprit und Charme französischer Filmkunst" ersetzt werden. 

Aus diesem Grund erschien die zweite Ausgabe der "FILM REVUE" insgesamt zweimal, wodurch war das Papier für die geplante dritte Ausgabe nicht mehr vorhanden war.

Aus diesem Grund dauerte es Wochen, ehe die dritte Ausgabe der "FILM REVUE"  herauskommen konnte. Zum Glück gab es in dieser Zeit keine festen Erscheinungstermine, weder monatlich noch vierzehntäglich. Alles hing von der Papierbeschaffung ab.

Ein Problem für sich war die grafische Gestaltung der Zeitschrift, ein anderes die Wahl der Druckerei. Hier gab es von Ausgabe zu Ausgabe einen fast ständigen Wechsel. 

Die erste Grafik übernahm ein Werbe-Institut in Karlsruhe. Dann wurde ein Grafiker eingestellt, der auf Wunsch der Militärregierung mit einem französischen Grafiker zusammenarbeiten musste. Der Deutsche sprach jedoch kein Wort französisch, der Franzose dagegen konnte kein Wort Deutsch.

Wenn in den ersten Ausgabe der "FILM REVUE" dem französischen Film ein übertriebener großer Raum eingeräumt wurde, dann lag das keineswegs an einer besonderen Franzosenhörigkeit der Redakteure, sondern an den speziellen Wünschen des französischen Film-Offiziers, von dem die Macher der Zeitschrift auf Gedeih und Verderb abhängig waren, und an der Tatsache, dass es überhaupt noch keinen deutschen Verleih gab und infolgedessen uch so gut wie keine deutschen Filmbilder.

Jede der vier Besatzungsmächte erzwang in ihrem Bereich die Propagierung der Filme ihres Landes mit Hilfe ihrer eigenen Verleih-Organisation. Das war in der sowjetischen Zone der russische Progreß-Verleih, in der amerikanischen Zone die MPEA (als gemeinsame Vertretung aller amerikanischer Produktions- und Verleihfirmen), in der britischen die Eagle-Lion (Rank-Film) und  in der französischen Zone die IFA.

Erst als die drei westlichen Zonen sich zu "Trizonesien" zusammenschlössen, war ein freier Austausch der Filme der drei westlichen Länder und damit die freie Berichterstattung über alle Filme möglich. Und allmählich entstanden auch deutsche Verleihfirmen. 

Zu Weihnachten 1947/48 brachten die Macher der "FILM-REVUE" erstmals eine relativ anständige Doppelnummer in gutem Kupfertiefdruck auf den Gabentisch. Aber welche Schwierigkeiten hatte es gekostet, bis es soweit gewesen war...

© by Ingo Löchel



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