Sonntag, 30. Juli 2023

Ein Interview mit dem Autor Bernward Schneider

Ingo Löchel: Hallo Bernward, kannst Du den Lesern des Online-Magazins kurz etwas zu Deiner Person erzählen?

Bernward Schneider: Ich bin Jahrgang 1956, verheiratet, zwei erwachsene Kinder, und habe von 1986 bis 2022 in Hildesheim als Rechtsanwalt gearbeitet. Neben dem Hauptberuf habe ich Kriminalromane verfasst, die hauptsächlich im Gmeiner Verlag erschienen sind. Außerdem habe ich auch selbst ein paar Romane in meinem kleinen Verlag herausgegeben.

Ingo Löchel: Wie bist Du auf die Idee zu Deinem Film-Sachbuch "WARTEN AUF DEN TOD: SERGIO LEONES VIERTER WESTERN“  gekommen?

Bernward Schneider: Vor Jahren las ich einmal ein Buch über die Karl-May-Filme der 1960er Jahre und fand das Buch sehr gelungen. Ich dachte damals, dass man sicher auch über die Entstehungsgeschichte und die Dreharbeiten anderer Filme interessante und spannende Bücher verfassen könnte. 

Schnell dachte ich an "Spiel mir das Lied vom Tod". Ich machte mir ein paar Notizen, die aber bald wieder in den Tiefen der Festplatte meines Computers verschwanden, da ich mit Vorrang anderes zu schreiben hatte.

Dann kam die Corona-Zeit, und mit ihr gingen mancherlei Veränderungen im Verlagsbereich einher. Meine Krimis, die schwerpunktmäßig im III. Reich im Berlin der 1930er Jahre spielten, liefen nicht mehr so gut, und als ich – das war vor knapp einem Jahr – darüber nachdachte, was ich stattdessen schreiben sollte, fielen mir meine Notizen zu dem Filmbuch wieder ein.

Zuerst hatte ich Zweifel, ob ich genug Material würde zusammentragen können, denn 100 Seiten sollte ein Buch schon haben, aber als ich mich dann an die Arbeit machte, lief es doch recht gut, ich fand vieles, was ich noch nicht gewusst hatte, dazu kamen meine eigenen Gedanken über den Film, sodass das Buch schließlich einen Umfang von 172 Seiten bekam.

Ingo Löchel: Wieso gerade ein Sachbuch über den Leone-Western „SPIEL MIR DAS LIED VOM TOD“ und nicht über einen anderen Klassiker des Western-Genres?

 Bernward Schneider: Da "Spiel mir das Lied vom Tod" einer meiner Lieblingsfilme ist, habe ich zu dem Film mehr zu sagen als zu anderen Western-Klassikern. Ich weiß einfach mehr über den Film als über andere Western. Außerdem lässt sich manches Interessante über den Film und die Dreharbeiten berichten.

Etwa die Schwierigkeiten, die Leone beim Dreh des "McBain-Massakers" hatte, was dazu führte, dass er bereits abgedrehte, aber gute Filmszenen streichen musste, um Paramounts Vorgaben hinsichtlich der geforderten Filmlänge zu erfüllen. Dann natürlich der Tod des Schauspielers Al Mulock kurz vor dem Abschluss des Drehs zum Cattle-Corner-Duell, und noch vieles andere mehr.

Ingo Löchel: Wie hast Du Dich auf dieses Buchprojekt vorbereitet und  in welcher Form hast Du die Recherchen für Dein Buch durchgeführt?

Bernward Schneider: Ich habe die wichtigsten Bücher zum Thema gelesen, also insbesondere die Bücher von Christopher Frayling und Oreste De Fornari, oder auch Harald Steinwender. Daneben weitere Bücher über Westernfilme, etwa über John Ford und den Karl May-Film oder die christliche Ikonographie im Italo-Western. Manches habe ich auch im Internet gefunden.

Und zu einem Großteil sind es meine eigenen Eindrücke von dem Film, die ich in dem Buch verarbeitet habe. Zum Beispiel habe ich mich sehr intensiv mit Henry Fondas Auftritt vor allem beim McBain-Massaker auseinandergesetzt, aber auch mit der Figur des von Gabriele Ferzetti dargestellten Eisenbahnmoguls Morton habe ich mich eingehend beschäftigt.

Ingo Löchel: Ist es korrekt, dass erst der „KARL MAY“-Film „DER SCHATZ IM SILBERSEE“ den Regisseur SERGIO LEONE dazu bewegt hat, seinen Italo-Western „FÜR EINE HANDVOLL DOLLAR“ (1964) mit CLINT EASTWOOD zu drehen?

Bernward Schneider: Der deutsche Karl May-Western „Der Schatz im Silbersee“ hat den europäischen Western begründet. Bis dahin war der Western eine Domäne Hollywoods. Das Besondere am "Schatz im Silbersee" war, dass dieser Film nicht die amerikanischen Western kopierte, sondern eigene, speziell deutsche Mythen verarbeitete und einen riesigen Erfolg damit hatte.

Der "Schatz im Silbersee" war nicht nur in Deutschland erfolgreich, sondern auch in vielen anderen Ländern, vor allem auch in den USA. Neu war auch, dass Horst Wendland den Film nicht in den USA drehte, wo er spielte, sondern in Europa, in Kroatien. Plötzlich ergaben sich für italienische Regisseure ganz neue Perspektiven, was die Produktionsbedingungen betraf.

Ingo Löchel: Stand der Regisseur Sergio Leone damals in Kontakt zum Produzenten Horst Wendlandt und besuchte er auch die Dreharbeiten zum Film „DER SCHATZ IM SILBERSEE“?

Bernward Schneider: Auf den "Schatz im Silbersee" wurden die Filmleute ja erst aufmerksam, als der Film in die Kinos kam, aber Leone besuchte in Reaktion auf den großen Erfolg dieses Films 1963 die Dreharbeiten zu den sich daran anschließenden "Winnetou-Filmen". Dort lernte Wendland den damals noch ganz unbekannten Leone kennen. Leone war ein großer Fan der Karl-May-Western. Sie zeigten ihm, dass es möglich war, in Europa erfolgreiche Western zu drehen, die auf eigenen Mythen basierten und andere Helden hatten als die US-Western.

Ingo Löchel: Könnte man also ‚provokant‘ sagen, dass ohne die deutschen „KARL MAY“-Filme Sergio Leones Western-Trilogie „FÜR EINE HANDVOLL DOLLAR“ (1964), „FÜR EIN PAAR DOLLAR MEHR“ (1965) und „ZWEI GLORREICHE HALUNKEN“ (1966) nie entstanden wäre?

Bernward Schneider: Ja, ich glaube, dass man das sagen kann. Der italienische Film befand sich 1962 nach dem Ende der "Sandalenfilme" in einer schweren Krise. Zahlreiche Filmschaffende, auch Techniker und Arbeiter hatten ihre Jobs verloren. Etwas Neues musste her, aber niemand hatte eine Idee, wie es weitergehen sollte. Da kam der "Schatz im Silbersee" und öffnete eine Tür, die man vorher nicht gesehen hatte, die Tür zur erfolgreichen italienischen Westernproduktion.

Ingo Löchel: Sergio Leone beeinflusste durch seine drei Italo-Western aber auch den Schauspieler CLINT EASTWOOD, der nach den drei Western „Für eine Handvoll Dollar“ (1964), „Für ein paar Dollar mehr“ (1965) und „Zwei glorreiche Halunken“ (1966) in die USA zurückkehrte und dort  mit der MALPASO COMPANY seine eigene Produktionsfirma gründete.

Danach produzierte er den Western „HÄNGT IHN HÖHER“, in dem er auch die Hauptrolle spielte, der auch in Bezug auf die Musik von Dominic Frontiere Ähnlichkeiten zu Leones Western aufweist. Befruchteten die Italo-Western in irgendeiner Weise den US-amerikanischen Westernfilm?

Bernward Schneider: Sicher gab es gegenseitige Einflüsse oder Befruchtungen. Die Gestalt des "schweigsamen Rächers" wie Eastwood und später auch Bronson fand im US-Western durchaus Anklang und Nachfolger. Der Film "Spiel mir das Lied vom Tod" hat wegen seiner Machart viele Regisseure beeinflusst, nicht allein in Bezug auf Western, sondern auch in Bezug auf Filme anderer Genres, z. B. die Thriller von Quentin Tarantino.

Trotzdem blieben der Italo-Western und der US-Western deutlich unterscheidbare Genres, die auch nicht etwas neues Drittes hervorbrachten. Der US-Western erzählt die Geschichte der Western-Frontier, "feiert" zum Teil auch die Eroberung des Westens. Der Italo-Western schildert die Western Frontier allenfalls äußerlich, während er vor allem christliche Mythen und Symbolik verarbeitet, Engel und Teufel, Sünde und Schuld, Rache und Vergebung, er ist "echt italienisch" und wäre ohne den römischen Katholizismus kaum denkbar.

"Spiel mir das Lied vom Tod" ist ein durch und durch römischer Film. Auch der deutsche "Sauerkraut-Western" und der italienische "Spaghetti-Western" vertrugen sich übrigens nicht. Nach dem großen Erfolg des Italo-Western versuchten die Deutschen, sich an den Italo-Western "dranzuhängen", aber das ging gründlich schief.

Bestes Beispiel ist "Winnetou und sein Freund Old Firehand", der sich am Italo-Western ausrichtete und an den Kinokassen floppte. Der Deutsch-Western wäre besser bei den eigenen Mythen geblieben wie sie im "Schatz im Silbersee", der ein sehr guter Western ist, umgesetzt wurden.

Ingo Löchel: Sergio Leone musste erst durch Charles Bluhdorn von Paramount Pictures dazu bewogen werden, den Italo-Western „SPIEL MIR DAS LIED VOM TOD“ zu drehen. Wie hat denn Bluhdorn Leone dazu ‚überredet‘?

Bernward Schneider: Charles Bluhdorn war nicht der Typ, der jemanden "überredete", sondern ein knallharter Geschäftsmann, der die Bedingungen diktierte.  Er war im Öl-Geschäft reich geworden, bevor er 1966 mit seiner Gulf + Western Company die Filmgesellschaft Paramount übernahm. Leone wollte keinen Western mehr drehen, sondern hatte Bluhdorn darum gebeten, ihm einen Gangsterfilm zu finanzieren.

Bluhdorn sagte, "okay, mache ich, aber vorher machst du noch einen letzten Western für mich". Leone konnte nur noch Ja oder Nein sagen. Er sagte Ja, obwohl er zu dem Zeitpunkt – das war im Dezember 1966 – absolut keine Ahnung hatte, was für einen Western er drehen sollte.

Ingo Löchel: Hat „SPIEL MIR DAS LIED VOM TOD“ nach seinem Erfolg das Western-Genre in irgendeiner Weise beeinflusst?

Bernward Schneider: Sicherlich, der Film hat das gesamte Western-Genre beeinflusst, weil er so gut war, dass er sich praktisch nicht mehr toppen ließ. Außerdem schilderte er auf überzeugende Weise den Untergang des alten Westens, das Verschwinden seiner Mythen und Archetypen. Der Originaltitel des Films "C'era una volta il West" (im Englischen: Once Upon A Time In The West) ist wirklich zutreffend.

Um danach noch mit einem Western Erfolg zu haben, musste man sich schon etwas Besonderes einfallen lassen, was selten gelang, wie etwa bei Kevin Costner mit "Der mit dem Wolf tanzt". Natürlich gab es weiterhin Western, auch recht gute, aber man muss wohl sagen, dass mit "Spiel mir das Lied vom Tod" der fulminante Höhepunkt des Westerns im Film erreicht war, sodass die Westernproduktion von da an deutlich zurückging und an Bedeutung verlor, weil es nicht mehr viele überzeugende neue Western gab.

Das Ende der Westernwelle im Film hatte sich natürlich vorher schon abgezeichnet, was mit ein Grund dafür gewesen war, dass Leone nach seinen 3 Dollar-Filmen diesen vierten Western ursprünglich gar nicht hatte drehen wollen.

Ingo Löchel: Sind weitere Film-Sachbücher in dieser Art von Dir geplant bzw. willst Du Dein Verlagsprogramm in Zukunft in Richtung Film-Sachbücher ausweiten?

Bernward Schneider: Konkret geplant habe ich nichts, aber ich kann es nicht ausschließen. Es gibt schon ein oder zwei Filme, bei denen ich es mir vorstellen könnte. Mal sehen. Es gibt ja auch noch ein oder zwei Kriminalromane, die ich gern schreiben würde.

Ingo Löchel: Bernward, vielen Dank für die Beantwortung der Fragen.

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